Gästebuch von atlan

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atlan ist seit dem 27.11.2003 in ximig und war am 06.04.2024 zuletzt online.

Über mich
Abstinenzler sind Leute, die vom Verzichten nicht genug bekommen können...

Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. - Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.
Douglas Adams [1952-2001, englischer Schriftsteller]


Ein Gedicht (Günter Grass)

Wer lacht hier, hat gelacht?
Hier hat sich’s ausgelacht.
Wer hier lacht, macht Verdacht,
daß er aus Gründen lacht.

Wer weint hier, hat geweint?
Hier wird nicht mehr geweint.
Wer hier weint, der auch meint,
daß er aus Gründen weint.

Wer spricht hier, spricht und schweigt?
Wer schweigt, wird angezeigt.
Wer hier spricht, hat verschwiegen,
wo seine Gründe liegen.

Wer spielt hier, spielt im Sand?
Wer spielt, muß an die Wand,
hat sich beim Spiel die Hand
gründlich verspielt, verbrannt.

Wer stirbt hier, ist gestorben?
Wer stirbt, ist abgeworben.
Wer hier stirbt, unverdorben,
ist ohne Grund verstorben.



Die Zeit fährt Auto

Die Städte wachsen.
Und die Kurse steigen.
Wenn jemand Geld hat, hat er auch Kredit.
Die Konten reden.
Die Bilanzen schweigen.
Die Menschen sperren aus.
Die Menschen streiken.
Der Globus dreht sich.
Und wir drehn uns mit.

Die Zeit fährt Auto.
Doch kein Mensch kann lenken.
Das Leben fliegt wie ein Gehöft vorbei. Minister sprechen oft vom Steuersenken. Wer weiß, ob sie im Ernste daran denken? Der Globus dreht sich und geht nicht entzwei.

Die Käufer kaufen.
Und die Händler werben.
Das Geld kursiert, als sei das seine Pflicht. Fabriken wachsen.
Und Fabriken sterben.
Was gestern war, geht heute schon in Scherben.
Der Globus dreht sich. Doch man sieht es nicht.

Erich Kästner, in "Herz auf Taille", 1928 (!!!)

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Kurt Tucholsky
Die freie Wirtschaft


Die freie Wirtschaft
Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
Fort die Gruppen – sei unser Panier!
Na, ihr nicht.
Aber wir.
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen.
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn -
wollt ihr wohl auseinandergehn!
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht.
Aber wir.
Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge -
kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Gut organisiert sitzen wir hier …
Ihr nicht.
Aber wir.
Was ihr macht, ist Marxismus. Nieder damit!
Wir erobern die Macht, Schritt für Schritt.
Niemand stört uns. In guter Ruh
sehn Regierungssozialisten zu.
Wir wollen euch einzeln. An die Gewehre!
Das ist die neuste Wirtschaftslehre.
Die Forderung ist noch nicht verkündet,
die ein deutscher Professor uns nicht begründet.
In Betrieben wirken für unsere Idee
die Offiziere der alten Armee,
die Stahlhelmleute, Hitlergarden …
Ihr, in Kellern und in Mansarden,
merkt ihr nicht, was mit euch gespielt wird?
mit wessen Schweiß der Gewinn erzielt wird?
Komme, was da kommen mag.
Es kommt der Tag,
da ruft der Arbeitspionier:
“Ihr nicht.
Aber Wir. Wir. Wir.”

Theobald Tiger: “Die freie Wirtschaft”, in: Die Weltbühne, 4.3.1930, S. 351
Motto
Das gefährlichste Unterfangen auf der Welt ist, einen Abgrund mit zwei Sprüngen zu überqueren.
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